Dienstag, 29. Juli 2008

Kirkenes-Kristiansand-Hamburg (Teil 1/3)

„Leberwurst is a liquid!“

„Blöde Idee gewesen“ denke ich und schwitze aus allen Poren. Dabei fahre ich gar keinen Berg hoch, sondern schleppe gerade mein Gepäck zur S-Bahnstation. Weil sich Fluggesellschaften gerne neue Sondergepäckgebühren ausdenken um die steigenden Kerosinpreise zu kompensieren und auch sonst panisch reagieren, wenn man am Flughafen mit Fahrrad auftaucht, habe ich mein Rad komplett zerlegt und als zweites Gepäckstück angemeldet. Nur trage ich auch noch einen riesigen Seesack mit der kompletten Ausrüstung und überlebenswichtigen Dingen wie z.B. zwei Salamis, 1kg Schokolade und 2 Reiseführer. Insgesamt gut 45 kg und ziemlich unhandlich. Am Flughafen erfuhr ich von der neunzigminütigen Verspätung, was mir relativ egal war, da ich sowieso erst am nächsten Vormittag von Oslo weiter nach Kirkenes fliegen sollte. In der Nacht am Osloer Flughafen schaute ich mir mit einem Kapverdier das Vorrundenspiel der EURO '08 Portugal gegen Tschechien auf einem winzigen Fernsehgerät an, das zu seiner Freude 3-1 für Portugal endet. Am nächsten Morgen erneuter Check-In, wo man mir meine Leberwurst im Glas (aus Gewichtsgründen im Handgepäck) mit der Begründung abnahm, Leberwurst sei eine Flüssigkeit. Kurioserweise war das zwischen Hamburg und Oslo kein Problem, aber mir is' wuarscht.

In Flieger nach Kirkenes befanden sich auch 3 nette junge Damen aus Bergen, die eine Radtour - meiner sehr ähnlich - von Kirkenes via Nordkap nach Kap Lindesnes (südlichster Punkt Norwegens) planten. In Kirkenes trennten wir uns, da ich zuerst die russische Grenze entlangradeln wollte. Es war mit 4°C Mitte Juni noch recht kalt, aber das ist hier nicht ungewöhnlich. Die Birken begannen gerade erst grün zu werden und auf den weiten Ebenen lagen vereinzelte Schneereste. Kirkenes - im Krieg arg in Mitleidenschaft geraten - ist eine Bergbaustadt und sieht leider auch so aus. Bis 1996 wurde unweit der Stadt in Bjørnevatn Eisenerz im Tagebau gefördert und in der Stadt zu konzentrierten Pellets verschmolzen. Jahre nach der Stilllegung ist nun ein australisches Bergbauunternehmen an der Weiterführung des Betriebs interessiert. Außerdem werden im Hafen (hauptsächlich russische) Fischtrawler gewartet und generalüberholt. Dort sah ich auch, wie man einen alten deutschen Bunker als Kellergeschoss gebrauchen kann. Sehr pragmatisch, die Norweger.

Dostojewski und Atom-U-Boote

Mich hielt es nicht lange in Kirkenes und ich fuhr rasch die stille Straße Nr. 885 Richtung Nyrud. Mit Ausnahme gelegentlicher Grenzmilitärjeeps war ich auf der leicht gewellten Route beinahe alleine unterwegs. Bei Nyrud begann eine holprige, teils sandige Piste, die mich bis kurz vor das Dreiländereck Norwegen-Finnland-Russland brachte. Es folgte noch ein 5 km langer, im Moorwasser versunkener Wanderweg (Bärenspur gesehen) und ich stehe vor einer Steinpyramide und einem halben Dutzend Warn- und Hinweisschildern. Unterwegs gaben mir fünf Grenzsoldaten ein Prospekt und den Hinweis: „Don´t cross the Russian border, please!“. Hier am Dreiländereck treffen nicht nur drei Landesgrenzen aufeinander, sondern auch drei verschiede Zeitzonen. Die Grenze zu Russland ist mit einem Lichtsignal gesichert, ein Umrunden der Steinpyramide ausdrücklich verboten.

Ich fahre den ganzen Weg (120 km) wieder zurück, denn es ist nur eine Stichstraße. Unterwegs gelingen mir noch ein paar Aufnahmen vom ehemaligen Grenzwachturm Høyde 96 (Höhe 96), von dem man eine gute Sicht auf die russische Industriestadt Nikel' (Никель) hat. Sehnsüchtiger Blick ans andere Ufer, in dieses geheimnisvolle Land. Unendliche Weiten, reiche Oligarchen, Wyssozki und Dostojewski und rostige Atom-U-Boote in der Barentsee geht es mir durch den Kopf. Gelegentlich überholen mich Nobelmarken mit getönten Scheiben und Moskauer Kennzeichen.Wer weiß, wann ich wieder in dieser Gegend bin“ denke ich und beschließe auch den zweiten Abstecher in den Grenzort 'Grense Jakobselv' zu fahren. Vorbei an Norwegens einzigem Grenzübergang mit Russland fuhr ich bei wenig wärmernder Mitternachtssonne durch eine vereiste Fjelllandschaft (ca. 190 m.ü.N.). Es war eine eigenartige Stimmung, diesen verlassenen Ort mit der König-Oskar-II.-Kapelle gegen 2 Uhr morgens zu erreichen (ich versuche mich umzugewöhnen und nachts zu fahren, um später dem Verkehr auf der E6 zu entgehen). Doch wie an allen stillen und verlassenen Orten dieser Welt trifft man auch hier auf eine Handvoll holländischer Wohnmobile. Ich schlug mein Zelt auf und nahm ein „erfrischendes“ Bad im Nordmeer.

Nachdem ich noch kurz die deutschen Hinterlassenschaften aus dem 2. Weltkrieg begutachtet habe, radel ich zurück, passiere nun zum zweiten Mal den Flughafen Kirkenes und stellte erstaunt fest, dass ich schon 370 km auf dem Tacho habe, aber noch keinen Kilometer meiner eigentlichen Tour gefahren bin! So schwing ich mich auf den Sattel, fahre vorbei am reißenden Skoltefossen in Neiden und verlasse die E6 in Tana Bru um der Straße Nr. 98 zu folgen. Dass der Tanafluss ein beliebtes Lachsangelrevier ist, war nicht zu übersehen. Nun steigt die Straße auf gut 370 m.ü.N. ins Ifjordfjell, einer grandios weißgetupften Berglandschaft bei schönstem Sonnenschein. Hinter dem Laksefjord folge ich dem mäandernden Storelv. Die Straße ist nun breit und in riesigen Kurvenradien angelegt. Man fühlt sich wie in Nordamerika. Trotzdem gibt es kaum Verkehr. Abends und in der Nacht fahre ich teilweise stundenlang, ohne einem einzigen Fahrzeug zu begegnen. Ich passiere kurz vor dem Porsangerfjord einen parallel verlaufenden Canyon, den man aber wegen Bewuchs nicht richtig von der Straße aus sehen kann.

Klappe, die zweite

In Lakselv folgt nun ein knapp 400 km langer Abschnitt bis Olderdalen, den ich schon im letzten Jahr bei meiner Nordkaptour fuhr. Macht aber nichts, ich habe ihn nämlich in positiver Erinnerung. Der damalige Rückenwind bis Olderfjord entpuppte sich allerdings als Gegenwind. Das entspricht ganz meiner empirischen Theorie, dass es meistens am Morgen in den Fjord hineinweht und nachmittags aus ihm heraus. So fahre ich eben diesmal mit Gegenwind nach Olderfjord, wo die E69 zum Nordkap abzweigt. Dort traf ich auch einen schwedischen Radler, von dem ich die aktuellsten Fußballergebnisse bekam. Diese sind nämlich in Norwegen nicht einfach zu bekommen. Sie stehen versteckt in der Zeitung oder sind gar nicht zu finden und Kneipen gibt es nur in größeren Orten mit unmöglichen Öffnungszeiten. Für Fußballmuffel der richtige Ort, für mich quälende Ungewissheit.



Ich stehe sehr früh auf, um die Hochebene (Repparfjordfjell) nach Alta zu queren, auf der ich letztes Jahr Gegenwind und relativ starken Verkehr tagsüber hatte. Schon den ganzen Tag zuvor gab es vereinzelte Regenschauer. Die dicken Wolkenfetzen verdunkeln den Himmel so stark, dass ich meine Beleuchtung einschalten muss, obwohl es fast Midsommer und somit die ganze Nacht hell ist. In Skaidi (160 m.ü.N.) zeigt mir ein Thermometer 4°C an. Die Klickpedale leiten die metallische Kälte zu meinen Füßen. Mit wenig Wind und wabernden Nebel durchfahre ich zerstreute Siedlungen der Samen, die hier Rentierzucht betreiben. Die Ortsnamen sind samisch (ähnlich der finnischen Sprache) oder zweisprachig. Ich freue mich über die Abfahrt ins sonnige Alta, wo ich dringende Einkäufe erledige. Die folgende Fahrt entlang des Kå- Alta- und Langfjords wird immer wieder von Regen begleitet und ich bin froh, die beeindruckende Landschaft im letzten Jahr bei besserem Wetter gesehen zu haben. Am nächsten Tag will ich trotz Regen unbedingt das Kvænangsfjell (400 Hm.) passieren und kämpfe mich durch eiskalten Regen und dichten Nebel. Besonders bei der Abfahrt bekomme ich ordentlich Wasser ab und bin klitschnass, so dass ich es heute bei nur 31 km belasse und das Zelt aufbaue.

Finaaleee

Doch das Wetter ändert sich so schnell wie die Landschaft und ich darf den folgenden Tag im Sonnenschein und weitestgehend am Meer entlang genießen. Reisafjord, Rotsund und Lyngen geben der bezaubernden Bergkulisse den richtigen Kontrast, als läge das Berner Oberland am Meer. Bei Djupvik findet man versteckt die Überreste der riesigen Festungsanlage Lyngen aus dem Zweiten Weltkrieg, von wo die Wehrmacht den ganzen Fjord und den Weg nach Norden kontrollierte. Solche Überbleibsel findet man im ganzen Land. Die Norweger haben im Allgemeinen ein positives Deutschlandbild, fahren häufiger als anderswo deutsche Autos und freuen sich, ein paar Sätze auf Deutsch sagen zu können, aber das Thema Okkupation ist meiner Meinung tief im Inneren noch nicht bewältigt. Besonders in Gesprächen mit Älteren merkt man nach wenigen Minuten, wie sich die Themenrichtung verschiebt und man unweigerlich auf den Zweiten Weltkrieg „zusteuert“. Die deutsche Besatzung in Norwegen mag nicht so brutal und grausam wie in Osteuropa gewesen sein, trotzdem wurden beim Abzug ganze Städte gesprengt, es gab Zwangsarbeit, Verfolgung von Juden und Minderheiten. Es bedarf einer behutsamen „Touristendiplomatie“ um die große Wunde der damals noch jungen Nation (seit 1905 unabhängig) zu heilen. Ich finde, als deutscher Besucher sollte man das immer beherzigen.

Ein Blick auf die Karte verrät, dass hinter Olderdalen der komplette Kåfjord abgefahren werden muss. Ein Umweg, der, wie sich herausstellt, absolut lohnenswert ist. Mit kräftigem Rückenwind sause ich nach Storfjord und biege auf die Straße 87, die kurz hinter Andselv wieder auf die E6 trifft. Das Wetter hat sich mal wieder anders entschieden und so radel ich die letzten Kilometer zur Narviker Bucht im Regen. Ein romantischer Zeltplatz am See erweist sich als fatal, denn über Nacht steigt der Wasserpegel und so kann ich durchaus behaupten, im statt am See gezeltet zu haben. Eine große Hängebrücke überquert den Rombaksbotn, wo Norwegen am schmalsten und die schwedische Grenze nur wenige Kilometer entfernt ist. Hier gibt es schon ganz ordentlichen Autoverkehr und ich bin froh, diesen hügeligen Abschnitt hinter mir zu lassen und erreiche am Abend Narvik. Ein wenig ansehnliches Zentrum führt mich gleich zur Malmbahn, wo ich die schwedischen Erzzüge aus Kiruna und die Verladestation im Hafen eingehend studiere. Später finde ich aber noch ein ruhiges Wohnviertel mit hübschen Holzhäuschen und Steinkirche. Im Supermarkt entnehme ich erfreut der Zeitung, dass die deutsche Elf im Finale der EURO '08 steht. Dicke Regenwolken ziehen wieder auf und ich versuche schleunigst ein Plätzchen zum Zelten außerhalb der Stadt zu finden.

Weiter zu Teil 2 (Narvik-Trondheim)

Keine Kommentare: