Dienstag, 29. Juli 2008

Kirkenes-Kristiansand-Hamburg (N, DK, D)

Ja, vi elsker dette landet (Ja, wir lieben dieses Land) heißt die erste Zeile der norwegischen Nationalhymne. Und wahre Liebe bedarf manchmal einer ausgiebigen Prüfung. Falls man ein so langgestreckes, zerklüftetes und bizarres Land wie Norwegen mögen sollte und diese Sehnsucht durch eine Radtour von Nord nach Süd stillt, der muss gegen Strapazen aller Art gewappnet sein. Soviel vorweg: Die Liebe hat auch noch nach der Tour Bestand, trotz zahlreicher Flüche und Zähneknirschen. Viel Spaß beim Lesen und Betrachten.

Kirkenes-Kristiansand-Hamburg - 4189 km in 35 Tagen (12.6.08 bis 16.7.08)

Teil 1 (Kirkenes-Narvik) Teil 2 (Narvik-Trondheim) Teil 3 (Trondheim-Hamburg)

Kirkenes-Kristiansand-Hamburg (Teil 1/3)

„Leberwurst is a liquid!“

„Blöde Idee gewesen“ denke ich und schwitze aus allen Poren. Dabei fahre ich gar keinen Berg hoch, sondern schleppe gerade mein Gepäck zur S-Bahnstation. Weil sich Fluggesellschaften gerne neue Sondergepäckgebühren ausdenken um die steigenden Kerosinpreise zu kompensieren und auch sonst panisch reagieren, wenn man am Flughafen mit Fahrrad auftaucht, habe ich mein Rad komplett zerlegt und als zweites Gepäckstück angemeldet. Nur trage ich auch noch einen riesigen Seesack mit der kompletten Ausrüstung und überlebenswichtigen Dingen wie z.B. zwei Salamis, 1kg Schokolade und 2 Reiseführer. Insgesamt gut 45 kg und ziemlich unhandlich. Am Flughafen erfuhr ich von der neunzigminütigen Verspätung, was mir relativ egal war, da ich sowieso erst am nächsten Vormittag von Oslo weiter nach Kirkenes fliegen sollte. In der Nacht am Osloer Flughafen schaute ich mir mit einem Kapverdier das Vorrundenspiel der EURO '08 Portugal gegen Tschechien auf einem winzigen Fernsehgerät an, das zu seiner Freude 3-1 für Portugal endet. Am nächsten Morgen erneuter Check-In, wo man mir meine Leberwurst im Glas (aus Gewichtsgründen im Handgepäck) mit der Begründung abnahm, Leberwurst sei eine Flüssigkeit. Kurioserweise war das zwischen Hamburg und Oslo kein Problem, aber mir is' wuarscht.

In Flieger nach Kirkenes befanden sich auch 3 nette junge Damen aus Bergen, die eine Radtour - meiner sehr ähnlich - von Kirkenes via Nordkap nach Kap Lindesnes (südlichster Punkt Norwegens) planten. In Kirkenes trennten wir uns, da ich zuerst die russische Grenze entlangradeln wollte. Es war mit 4°C Mitte Juni noch recht kalt, aber das ist hier nicht ungewöhnlich. Die Birken begannen gerade erst grün zu werden und auf den weiten Ebenen lagen vereinzelte Schneereste. Kirkenes - im Krieg arg in Mitleidenschaft geraten - ist eine Bergbaustadt und sieht leider auch so aus. Bis 1996 wurde unweit der Stadt in Bjørnevatn Eisenerz im Tagebau gefördert und in der Stadt zu konzentrierten Pellets verschmolzen. Jahre nach der Stilllegung ist nun ein australisches Bergbauunternehmen an der Weiterführung des Betriebs interessiert. Außerdem werden im Hafen (hauptsächlich russische) Fischtrawler gewartet und generalüberholt. Dort sah ich auch, wie man einen alten deutschen Bunker als Kellergeschoss gebrauchen kann. Sehr pragmatisch, die Norweger.

Dostojewski und Atom-U-Boote

Mich hielt es nicht lange in Kirkenes und ich fuhr rasch die stille Straße Nr. 885 Richtung Nyrud. Mit Ausnahme gelegentlicher Grenzmilitärjeeps war ich auf der leicht gewellten Route beinahe alleine unterwegs. Bei Nyrud begann eine holprige, teils sandige Piste, die mich bis kurz vor das Dreiländereck Norwegen-Finnland-Russland brachte. Es folgte noch ein 5 km langer, im Moorwasser versunkener Wanderweg (Bärenspur gesehen) und ich stehe vor einer Steinpyramide und einem halben Dutzend Warn- und Hinweisschildern. Unterwegs gaben mir fünf Grenzsoldaten ein Prospekt und den Hinweis: „Don´t cross the Russian border, please!“. Hier am Dreiländereck treffen nicht nur drei Landesgrenzen aufeinander, sondern auch drei verschiede Zeitzonen. Die Grenze zu Russland ist mit einem Lichtsignal gesichert, ein Umrunden der Steinpyramide ausdrücklich verboten.

Ich fahre den ganzen Weg (120 km) wieder zurück, denn es ist nur eine Stichstraße. Unterwegs gelingen mir noch ein paar Aufnahmen vom ehemaligen Grenzwachturm Høyde 96 (Höhe 96), von dem man eine gute Sicht auf die russische Industriestadt Nikel' (Никель) hat. Sehnsüchtiger Blick ans andere Ufer, in dieses geheimnisvolle Land. Unendliche Weiten, reiche Oligarchen, Wyssozki und Dostojewski und rostige Atom-U-Boote in der Barentsee geht es mir durch den Kopf. Gelegentlich überholen mich Nobelmarken mit getönten Scheiben und Moskauer Kennzeichen.Wer weiß, wann ich wieder in dieser Gegend bin“ denke ich und beschließe auch den zweiten Abstecher in den Grenzort 'Grense Jakobselv' zu fahren. Vorbei an Norwegens einzigem Grenzübergang mit Russland fuhr ich bei wenig wärmernder Mitternachtssonne durch eine vereiste Fjelllandschaft (ca. 190 m.ü.N.). Es war eine eigenartige Stimmung, diesen verlassenen Ort mit der König-Oskar-II.-Kapelle gegen 2 Uhr morgens zu erreichen (ich versuche mich umzugewöhnen und nachts zu fahren, um später dem Verkehr auf der E6 zu entgehen). Doch wie an allen stillen und verlassenen Orten dieser Welt trifft man auch hier auf eine Handvoll holländischer Wohnmobile. Ich schlug mein Zelt auf und nahm ein „erfrischendes“ Bad im Nordmeer.

Nachdem ich noch kurz die deutschen Hinterlassenschaften aus dem 2. Weltkrieg begutachtet habe, radel ich zurück, passiere nun zum zweiten Mal den Flughafen Kirkenes und stellte erstaunt fest, dass ich schon 370 km auf dem Tacho habe, aber noch keinen Kilometer meiner eigentlichen Tour gefahren bin! So schwing ich mich auf den Sattel, fahre vorbei am reißenden Skoltefossen in Neiden und verlasse die E6 in Tana Bru um der Straße Nr. 98 zu folgen. Dass der Tanafluss ein beliebtes Lachsangelrevier ist, war nicht zu übersehen. Nun steigt die Straße auf gut 370 m.ü.N. ins Ifjordfjell, einer grandios weißgetupften Berglandschaft bei schönstem Sonnenschein. Hinter dem Laksefjord folge ich dem mäandernden Storelv. Die Straße ist nun breit und in riesigen Kurvenradien angelegt. Man fühlt sich wie in Nordamerika. Trotzdem gibt es kaum Verkehr. Abends und in der Nacht fahre ich teilweise stundenlang, ohne einem einzigen Fahrzeug zu begegnen. Ich passiere kurz vor dem Porsangerfjord einen parallel verlaufenden Canyon, den man aber wegen Bewuchs nicht richtig von der Straße aus sehen kann.

Klappe, die zweite

In Lakselv folgt nun ein knapp 400 km langer Abschnitt bis Olderdalen, den ich schon im letzten Jahr bei meiner Nordkaptour fuhr. Macht aber nichts, ich habe ihn nämlich in positiver Erinnerung. Der damalige Rückenwind bis Olderfjord entpuppte sich allerdings als Gegenwind. Das entspricht ganz meiner empirischen Theorie, dass es meistens am Morgen in den Fjord hineinweht und nachmittags aus ihm heraus. So fahre ich eben diesmal mit Gegenwind nach Olderfjord, wo die E69 zum Nordkap abzweigt. Dort traf ich auch einen schwedischen Radler, von dem ich die aktuellsten Fußballergebnisse bekam. Diese sind nämlich in Norwegen nicht einfach zu bekommen. Sie stehen versteckt in der Zeitung oder sind gar nicht zu finden und Kneipen gibt es nur in größeren Orten mit unmöglichen Öffnungszeiten. Für Fußballmuffel der richtige Ort, für mich quälende Ungewissheit.



Ich stehe sehr früh auf, um die Hochebene (Repparfjordfjell) nach Alta zu queren, auf der ich letztes Jahr Gegenwind und relativ starken Verkehr tagsüber hatte. Schon den ganzen Tag zuvor gab es vereinzelte Regenschauer. Die dicken Wolkenfetzen verdunkeln den Himmel so stark, dass ich meine Beleuchtung einschalten muss, obwohl es fast Midsommer und somit die ganze Nacht hell ist. In Skaidi (160 m.ü.N.) zeigt mir ein Thermometer 4°C an. Die Klickpedale leiten die metallische Kälte zu meinen Füßen. Mit wenig Wind und wabernden Nebel durchfahre ich zerstreute Siedlungen der Samen, die hier Rentierzucht betreiben. Die Ortsnamen sind samisch (ähnlich der finnischen Sprache) oder zweisprachig. Ich freue mich über die Abfahrt ins sonnige Alta, wo ich dringende Einkäufe erledige. Die folgende Fahrt entlang des Kå- Alta- und Langfjords wird immer wieder von Regen begleitet und ich bin froh, die beeindruckende Landschaft im letzten Jahr bei besserem Wetter gesehen zu haben. Am nächsten Tag will ich trotz Regen unbedingt das Kvænangsfjell (400 Hm.) passieren und kämpfe mich durch eiskalten Regen und dichten Nebel. Besonders bei der Abfahrt bekomme ich ordentlich Wasser ab und bin klitschnass, so dass ich es heute bei nur 31 km belasse und das Zelt aufbaue.

Finaaleee

Doch das Wetter ändert sich so schnell wie die Landschaft und ich darf den folgenden Tag im Sonnenschein und weitestgehend am Meer entlang genießen. Reisafjord, Rotsund und Lyngen geben der bezaubernden Bergkulisse den richtigen Kontrast, als läge das Berner Oberland am Meer. Bei Djupvik findet man versteckt die Überreste der riesigen Festungsanlage Lyngen aus dem Zweiten Weltkrieg, von wo die Wehrmacht den ganzen Fjord und den Weg nach Norden kontrollierte. Solche Überbleibsel findet man im ganzen Land. Die Norweger haben im Allgemeinen ein positives Deutschlandbild, fahren häufiger als anderswo deutsche Autos und freuen sich, ein paar Sätze auf Deutsch sagen zu können, aber das Thema Okkupation ist meiner Meinung tief im Inneren noch nicht bewältigt. Besonders in Gesprächen mit Älteren merkt man nach wenigen Minuten, wie sich die Themenrichtung verschiebt und man unweigerlich auf den Zweiten Weltkrieg „zusteuert“. Die deutsche Besatzung in Norwegen mag nicht so brutal und grausam wie in Osteuropa gewesen sein, trotzdem wurden beim Abzug ganze Städte gesprengt, es gab Zwangsarbeit, Verfolgung von Juden und Minderheiten. Es bedarf einer behutsamen „Touristendiplomatie“ um die große Wunde der damals noch jungen Nation (seit 1905 unabhängig) zu heilen. Ich finde, als deutscher Besucher sollte man das immer beherzigen.

Ein Blick auf die Karte verrät, dass hinter Olderdalen der komplette Kåfjord abgefahren werden muss. Ein Umweg, der, wie sich herausstellt, absolut lohnenswert ist. Mit kräftigem Rückenwind sause ich nach Storfjord und biege auf die Straße 87, die kurz hinter Andselv wieder auf die E6 trifft. Das Wetter hat sich mal wieder anders entschieden und so radel ich die letzten Kilometer zur Narviker Bucht im Regen. Ein romantischer Zeltplatz am See erweist sich als fatal, denn über Nacht steigt der Wasserpegel und so kann ich durchaus behaupten, im statt am See gezeltet zu haben. Eine große Hängebrücke überquert den Rombaksbotn, wo Norwegen am schmalsten und die schwedische Grenze nur wenige Kilometer entfernt ist. Hier gibt es schon ganz ordentlichen Autoverkehr und ich bin froh, diesen hügeligen Abschnitt hinter mir zu lassen und erreiche am Abend Narvik. Ein wenig ansehnliches Zentrum führt mich gleich zur Malmbahn, wo ich die schwedischen Erzzüge aus Kiruna und die Verladestation im Hafen eingehend studiere. Später finde ich aber noch ein ruhiges Wohnviertel mit hübschen Holzhäuschen und Steinkirche. Im Supermarkt entnehme ich erfreut der Zeitung, dass die deutsche Elf im Finale der EURO '08 steht. Dicke Regenwolken ziehen wieder auf und ich versuche schleunigst ein Plätzchen zum Zelten außerhalb der Stadt zu finden.

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Kirkenes-Kristiansand-Hamburg (Teil 2/3)

Regen, Sonne, Regen

Hinter Ballangen wird die Landschaft wieder interessanter, nachdem die Straße einige Kilometer relativ unspektakulär am Meer entlangführte. Bis Skarberget radelt man an trolligen Bergen vorbei, die man als typisch norwegisch bezeichnen könnte. Hier ist die E6, das Rückgrat Norwegens, vom Tysfjord unterbrochen und man muss die Fähre nach Bognes nehmen. Der Verkehr ist immer noch so gering, dass anscheinend nur eine stündliche Fährverbindung ausreicht. An einem Verkehrsschild hängt ein Trockenfisch (norwegisch: Tørrfisk), den wohl eine Möwe hierher geschleppt hat. Er ist so hart wie ein Stück Holz und man könnte ihn als Cricketschläger benutzen.

Das helle Objekt am Morgenhimmel erinnerte mich irgendwie an die Sonne - und es war tatsächlich die Sonne! Allzu viel Vergnügen war mir aber nicht vergönnt und die ersten kurzen Schauer warfen mich zurück in die harte norwegische Wetterrealität. Bei Kråkmo beachtlichen Felsberg bestaunt, der sich auch im Yosemite Nationalpark in Kalifornien hätte befinden können. Es folgen ein paar Tunnel, die für Radfahrer gesperrt sind und man muss auf die alte und kaum befahrene Straße ausweichen, inklusiv einiger hundert zusätzlicher Höhenmeter. Bei Elvkroken treffe ich in aller Frühe wieder auf die E6, um ein halbes Dutzend Tunnel unbeschwert passieren zu können. Ein breites Tal öffnet sich und ich erreiche Fauske. Es ist aber noch zu früh am Morgen für den Einkauf, alle Geschäfte haben noch geschlossen. Eigentlich wollte ich nun westlich und dann die berühmte Küstenstraße RV17 (Kystriksveien) fahren, doch erschreckend viele Kilometer sind noch zu radeln und so entscheide ich mich, allen Unkenrufen zum Trotz, weiterhin auf der E6 zu bleiben. So fahre ich nach Rognan und lerne, dass eine auf der Karte eng am Fjord verlaufende Straße nicht unbedingt eben sein muss. Parallel zur Straße befindet sich die Nordlandbahn, deren letzter Abschnitt nach Bodø unter schwierigen topografischen Bedingungen erst 1962 fertig gestellt wurde.

Mittlerweile ist es recht warm und sonnig und - bis auf ein paar wenige Ausnahmen - bleib es bis Südnorwegen auch so. Die Straße hat eine kaum spürbare Steigung und ich bin erstaunt, als ich kurz vor dem Erreichen des Polarkreises ein Höhenangabe von 570 m.ü.N. finde. Morgens um 5 Uhr treffe ich am Polarkreiscenter ein. Im Gegensatz zur E45 in Schweden, die ich letztes Jahr fuhr, wird hier um den Polarkreis ein riesiger Touri-Rummel gemacht. Dabei bin ich mir sicher, dass bestimmt die Mehrheit der Besucher gar nicht weiß, was der Polarkreis eigentlich ist. Auch, dass er nicht fix, sondern periodischen Bewegungen von mehreren Kilometern über die Jahrhunderte ausgesetzt ist, spielt bei der Vermarktung anscheinend keine Rolle (Ursache ist die sogen. Nutation). Auf dem Besucherparklatz stehen gut 40 Wohnmobile, deren Bewohner aber noch schlafen. Ich mache noch schnell ein Touri-Bild von mir am Polarkreis und genieße die Abfahrt nach Mo i Rana. Dieser Abschnitt über das Saltfjell hat mir landschaftlich sehr gut gefallen. Man muss die E6 allerdings sehr früh oder nachts fahren. Ein entgegenkommendes Radlerpärchen aus Berlin ist tagsüber geradelt und sah ziemlich gestresst aus.

Ärgere keine Trolle

In Mo i Rana - einer wenig bezaubernden Industriestadt - versuchte ich verzweifelt eine Kneipe mit Live-Übertragung des Fußballfinales zu finden. Das einzige in Frage kommende Objekt hatte aber noch geschlossen und sollte auch schon um 21 Uhr wieder schließen. Von außen war kein Fernsehergerät zu erkennen und so verließ ich die 25.000-Einwohnerstadt mit ihrer bescheidenen Kneipenkultur und fuhr zum nächsten Campingplatz. Dort gab es leider kein Gemeinschaftsraum mit Fernsehgerät und der Besitzer sah bald ein, dass er mir keine 900-Kronen-Luxushütte wegen eines Fußballspiels andrehen kann (in Norwegen gibt es überall kleine Hütten mit unterschiedlichen Ausstattungen zu mieten). Er war aber sehr nett, indem er sich bei der Konkurrenz telefonisch erkundigte und mich auf den Campingplatz Korgen verwies. Unterwegs knackte plötzlich meine Hinterradnabe und mangels Konusschlüssel konnte ich nur von Außen etwas neues Fett auftragen. Als das erledigt war, gab es auch noch ein Gewitter und es goß aus Kübeln, so dass ich mich in einem Tunnel unterstellen musste. Eine Stunde vor Anpfiff erreiche ich Korgen und man teilte mir mit, dass wegen des Gewitters der Strom ausgefallen ist. Kein Fernsehen. Keine warme Dusche. Doch ein Anruf genügte und kurze Zeit später gab's wieder Elektrizität. Also, schnell geduscht und in den gefüllten Gemeinschaftsraum gesetzt. Das Finale gegen Spanien begann. Nach gut 20 Minuten: Stromausfall! Irgendjemand wollte nicht, dass ich heute Fußball schaue. Hatte ich irgendeinen Bergtroll verärgert? Schnell wurde klar, dass der Ausfall nur auf den Campingplatz begrenzt war. So düste ich mit ein paar anderen Deutschen vor zum Motel, wo es eine kleine Bar gab. Drinnen läuft Fußball und eine Art Mitarbeiterbesprechung, doch die Öffnungszeiten sind wie in Mo i Rana. Wir klopfen und betteln beim Besitzer. Ich mit ein paar Brocken Norwegisch um etwas freundlicher zu wirken. Er lässt uns in einen Nebenraum, wo wir noch die zweite Halbzeit sehen. Das einzigeTor von Torres habe ich dagegen verpasst. Egal, Spanien ist verdienter Europameister und Norwegen das denkbar schlechteste Land um Fußball zu schauen.



Ich starte wieder in aller Frühe um den Verkehr auf der E6 zu entgehen. Ich hatte fest damit gerechnet, die alte Bergstraße über das Korgfjell nehmen zu müssen. Doch der 8,6 km lange Tunnel ist für Radfahrer kurioserweise nicht gesperrt. Da ich noch etwas müde in den Beinen nach gestriger Etappe bin und genügend Passstraßen in Südnorwegen fahren werde, beschließe ich durch den Tunnel zu fahren. Bei leichter Steigung ist man mit Gepäck fast eine halbe Stunde im Dunkeln unterwegs. Es ist der längste Tunnel der E6 und der viertlängste Straßentunnel Norwegens. Anderswo habe ich 250 m lange Tunnel gesehen, die für Radfahrer gesperrt waren. Bis Mosjøen geht es auf und ab und die Straße ist mit zahlreichen Denkmälern bestückt, die auf den Bau dieser unter deutscher Okkupation mit jugoslawischen und russischen Kriegsgefangenen hinweisen („Blodveien/Blutweg“). In Mosjøen weist ein Schilderbaum in alle Himmelsrichtungen, da sich hier die Mitte Norwegens befindet. Die Landschaft wird weitläufiger, ist von vielen Seen durchzogen und ähnelt der in Nordschweden. An einem Berg überholt mich ein Rennradfahrer mit teuerster Profiausstattung, sieht aber relativ untrainiert aus. Mich packt der Ehrgeiz und ich überhole in mit 30 kg Gepäck, in normaler Freizeithose und Baumwoll-T-Shirt. Er nimmt anscheindend die Herausforderung an und tritt kräftig in die Pedale. Ich lasse ihn aber nicht an mich heran und fahre Stück für Stück einen Vorsprung raus. Als ich ihn nicht mehr sehe, halte ich an und mache ein Landschaftsfoto. Er saust an mir vorbei und ich nehme die Verfolgung auf. In dieser Position fühlt er sich noch unwohler, als selbst Jäger zu sein und dreht sich ständig mit rotem Kopf um. Mir gelingt es ihn nochmal zu überholen, bevor ich - mittlerweile selbst ein wenig aus der Puste - an einem Rastplatz anhalte. Er kann seine Rennradfahrerehre verteidigen und ich habe einen guten Tagesdurchschnitt :-)

La Liberté guidant le peuple


Grong ist ein Mekka der Lachsangler und im Fluss sieht man Dutzende von Fliegenfischern - eine Wissenschaft für sich und kein billiges Vergnügen. Eine Tageslizenz kann schon mal 100 EUR kosten, dafür darf man mit über 20 kg schweren Exemplaren rechnen. Ich aber will das schöne Wetter nutzen und fahre flott nach Steinkjer, dass einst wichtiger und berühmter als Trondheim war. Die E6 wird hier gerade zur vierspurigen Schnellstraße ausgebaut und ich bin froh, auf die Halbinsel Inderøy abzubiegen. Die E6 zwischen Steinkjer und Trondheim ist für Radfahrer absolut nicht zu empfehlen! Am Ende dieses Tages stehen 200 km auf dem Tacho (und dabei war es nicht gerade flach). Ich durchstreife duftenden Wälder, von Bauernhöfen unterbrochen. Weizen, Kartoffeln und Erdbeeren werden im großen Stil angebaut. Dabei befinde ich mich immer noch auf der Höhe von Anchorage/Alaska, doch Norwegens Küste profitiert von den Ausläufern des Golfstroms. Es ist richtig warm (ca. 30°C) und ich verbrenne mir trotz Sonnenschutz die Haut. Mir kommt ein radelndes Vater-Sohn-Gespann entgegen. Schon von Weitem sind sie mit einer riesigen französischen Trikolore wie im berühmten Gemälde von Eugène Delacroix zu sehen, nur nicht ganz so barbusig. Ich werde auf Französisch nach Wegbeschaffenheit und Steigungen ausgefragt - anscheinend spricht nach ihren Verständnis jeder außerhalb Frankreichs ihre Muttersprache. Weder Sohn noch Vater sprechen ein Wort Englisch (welche Fremdsprachen lernt man eigentlich an Frankreichs Schulen?). Ich merke an, sie könnten doch bei günstigem Wind auch mit ihrer Flagge segeln, doch der Witz kommt nicht an - vielleicht liegt's an meinem ausbaufähigen Schulfranzösisch.


Es folgt bei Rørvik eine kurze Fährfahrt über den Trondheimfjord und ich erreiche am Nachmittag die ehemalige Hauptstadt Trondheim. Die Stadt am Nid-Fluss (deshalb auch früher Nidaros genannt) war mir von Anfang an sympatisch. Zwar gab es hin und wieder eine 60er-Jahre-Schandimmobilie (wie so oft in größeren skandinavischen Städten), aber im Ganzen konnte sich das charakteristische Stadtbild mit viel Wasser drumherum bewahren. Zahlreiche Boote zieren das Flussufer und zeugen vom Wohlstand der Bewohner. Die hübschen Holzhäuser reichen bis ins Zentrum. Moderne Glasarchitektur passt sich dem Stadtbild an. Sogar an die Radfahrer der hügeligen Stadt hat man gedacht und am Brubakken einen Fahrradlift installiert, der einzige der Welt bisher. Über allem trohnt die Festung Kristiansten, eine Verteidigungsanlage aus dem 17. Jahrhundert gegen die Schweden. Ich schaue mir noch den beeindruckenden Nidaos-Dom an - nachdem ich etwas lange mit einem schottischen Biker gequatscht habe - und verlasse diese Stadt mit ihrer hohen Lebensqualität Richtung Süden.

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Kirkenes-Kristiansand-Hamburg (Teil 3/3)

Eisorgie

Aus Trondheim herauszufinden war einfacher als ich dachte und so erreiche ich Melhus, wo ich noch ein paar Kilometer der E6 folge. In der Illusion, den gestrigen Radweg weiter parallel zur stark befahren E6 nehmen zu können, stehe ich am folgenden Morgen spät auf und unternehme zuerst eine kleine Wartungseinheit am Rad. Aber ich musste ab Mittag auf der verkehrsreichen Europastraße weiter gegen Süden radeln. Landschaftlich war es auch nicht sonderlich spektakulär und so war mir klar, dass das heute nur eine Transitetappe wird. Dafür ist das Wetter nach wie vor traumhaft und ich gönne mir zum Abschluss des Tages eine 6er Packung Eis, die eigenartigerweise genauso viel kostete wie ein einzelnes, was sich die erstaunte Verkäuferin auch nicht erklären kann. Ich setze mich abseits der Straße an einen See, um Erregung öffentlichen Ärgernisses wegen Völlerei zu vermeiden.

Ich breche wieder sehr früh auf und fahre die leichte Steigung ins Dovrefjell. Ein weiterer Vorteil der zeitigen Radlerei (neben des geringeren Verkehrs) ist die Tierwelt, die man in aller Stille gut beobachten kann. So habe ich schon mehrmals Elche gesehen. Nie gelang es mir aber ein vernünftiges Foto von ihnen zu machen, denn man bemerkt sie erst, wenn sie ins Unterholz flüchten. Die Landschaft wird wieder interessanter. Immer wieder faszinieren mich die schnell wechselnden Vegetationszonen, wenn man bergauf fährt. Zuerst dichter Misch- oder Nadelwald, dann immer kleiner und krüppeliger werdende Fjellbirken in einer Moorlandschaft bis hin zur Fjellebene, diese mit Moosen, Flechten und kleinen Sträuchern in verschiedensten Farben durchsetze Steinlandschaft. Und das alles auf relativ wenigen Höhenmetern.

Hauptsache: Dach über dem Kopf

Die Abfahrt nach Dombås will gar nicht enden und ich lege einen Fotostopp ein, um die heißgebremsten Felgen abzukühlen. Zuerst auf einer Nebenstraße, dann im Sausetempo dank Rückenwind geht's die letzten Kilometer auf der E6 durch das mal weite, mal enge Gudbrandsdal. In Nord-Sel biege ich auf eine namenlose Straße nach Vågåmo ein. Ein Schild warnt mich vor 16%iger Steigung. Ich entscheide mich die nördlich des Vågåvatn gelegene Nebenstraße zu nehmen, die teilweise eine Piste ist. Bald ist Lom erreicht, welches besonders wegen der Stabkirche bekannt ist. Stabkirchen zeichnet eine senkrechte Bauweise der Holzbalken aus und sind das architektonische Markenzeichen Norwegens. Sie haben meistens ein respektables Alter für eine Holzkirche und stammen teilweise aus der Zeit der Christianisierung der Wikinger (um 1000-1200 n. Chr.). Die Holzschnitzereien enthalten fast nur heidnische Symbole und Runen, ein Kompromiss, um die sich widersträubende Landbevölkerung vom Christentum zu überzeugen. In Lom selbst waren mir aber zu viele Touristen und so verließ ich den Ort auf dem Sognefjellveien, den ich schon vor fünf Jahren in umgekehrter Richtung passiert habe. Die Sognefjellstraße ist die höchste Passstraße Nordeuropas und führt durch eine winterliche Berglandschaft. Leider wurde das Wetter immer schlechter. Extrem böiger Seitenwind erschwert das Radeln. Vor mir drückt es ein Fahrzeug mit Wohnmobilanhänger fast von der Straße. Dunkle Sturmwolken kommen auf und ich kann mich gerade noch in ein Behinderten-WC retten. Peitschender Regen prasselt auf's Dach und das bleibt auch die nächsten Stunden so. An Zeltaufbauen ist nicht zu denken und ich finde mich damit ab, die Nacht in meinem neuen Zuhause zu verbringen, in dem es aber sehr sauber und geräumig ist. Am nächsten Morgen ist es nicht mehr ganz so stürmig und ich biege in Turtagrø auf eine Privatstraße nach Øvre Årdal ab. Auf den Bergkuppen liegt sogar etwas Neuschnee. Es geht mehrmals hoch und runter, bevor ich kurz vor der kilometerlangen Abfahrt am Bezahlhäuschen vorbeikomme (als Radfahrer aber durchgewunken werde). Diese Landschaft ist wirklich gigantisch, allerdings ist sie von vielen Hochspannungsleitungen durchschnitten. Den Grund dafür sehe ich in Øvre Årdal, wo der halbe Ort aus einem Aluminiumwerk von Norsk Hydro besteht. Billiger Strom (zu 99% aus Wasserkraft!) hat viel energieintensive Schwerindustrie nach Norwegen gelockt und beschert dem Land den höchsten Pro-Kopf-Stromverbrauch der Welt. Fast jedes Haus wird mit Strom geheizt und die Beleuchtung in öffentlichen Gebäuden hat meistens gar keinen Lichtschalter.

Hinter Øvre Årdal geht's an einer Felswand auch gleich wieder 1117 Höhenmeter hoch, nachdem ich soeben etwa selbe Höhe hinabgefahren bin. Das Ganze wird durch heftigen Gegenwind erschwert. Die geschliffenen Spuren der Eiszeitgletscher sind hier im Moadal sehr gut zu sehen, aber das Wetter ist nicht so toll und ich bin froh, auf der E16 wieder abwärts fahren zu können. In Borgund schaue ich mir Norwegens besterhaltene Stabkirche an, denn viele Stabkirchen sind zwar alt, wurden aber immer wieder umgebaut. Von den über 1000 Stabkirchen sind nur 28 erhalten. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie oft einfach abgerissen um eine neue Kirche zu bauen, ohne ein Bewusstsein für deren Einmaligkeit zu entwickeln. Eine Untersuchung der Jahresringe hat ergeben, dass das Holz zum Kirchenbau der Borgundkirche im Winter 1180/81 gefällt wurde. Im Inneren ist sie winzig und stockdunkel. Ich folge dem Lærdalselva, der gurgelnd durch eine enge Felsschlucht stürzt. Kurz vor Lærdal weitet sich das Tal und Obstanbau beherrscht das Landschaftsbild, eingerahmt von über 1000 m hohen Felsbergen. Kurz hinter dem Lærdalstunnel (mit 24,5 km der längste Straßentunnel der Welt) durchstreife ich das hübsche und gleichnamige Städtchen. Ich fahre die alte Straße Snøvegen (Schneeweg), die nicht ohne Grund so heißt, den vor dem Tunnelbau waren Aurland und Flåm im Winter nur per dreistündiger Fährfahrt erreichbar. Die enge Straße windet sich von 0 auf 1309 m.ü.N. das Horndal hoch. Riesige Eis- und Schneebrocken schwimmen hier oben in den Seen. Immer wieder grüßender Gegenverkehr, ein deutscher Wohnmobilist läd mich sogar zum Kaffe ein. Bei der Abfahrt pausiere ich an einem 640 m über den Aurlandsfjord gelegenen Aussichtssteg. Winzige Kreuzfahrtschiffe kontrastieren die gigantische Bergkulisse. Nach ewiger Serpentinenabfahrt erreiche ich Aurland und dann Flåm.



In Flåm schaue ich mir die gleichnamige Eisenbahn an (eine der steilsten Adhäsionsbahnen der Welt) und treffe auf ein nettes polnisches Radlerduo. Das interessante Gespräch geht über das übliche Wohin&Woher hinaus und ich bin erstaunt, schon so oft auf meiner Reise radtourende Polen gesehen zu haben. Anscheindend ein richtiger Trend in diesem Land. Am Morgen darauf folge ich dem Flåmsdal hinauf nach Myrdal, die letzten Kilometer eine steile Rampe mit faustgroßen Steinen schiebend. Nun folgt der Rallarvegen, eine alter Versorgungsweg der parallelen Bergenbahn, den ich ebenfalls 2003 schon mal gefahren bin. Er ist eine der schönsten Strecken für Radfahrer in Norwegen, nicht zuletzt, weil er größtenteils für motorisierten Verkehr nicht zugänglich ist. Im ersten Abschnitt kamen mir fast im Minutentakt Radfahrer entgegen. Hinter Hallingskeid wurde es aber ruhiger - ein Geheimtipp ist der Rallarvegen aber nicht mehr. Es gab viele steinige Passagen und gut 30 Mal musste ich das Rad durch Schneeverwehungen schieben. Bei schönstem Sonnenwetter erreiche ich am Abend noch Finse (1222 m.ü.N.) und habe einen fantastischen Blick auf die baumlose Hochebene und den Gletscher Hardangerjøkulen.

Peng!

In Haugastøl treffe ich wieder auf geteerten Untergrund und fahre durch die offene Landschaft der Hardangervidda. Plötzlich öffnet sich eine 150 m tiefe Schlucht und in Norwegen gehören immer ein paar Wasserfälle dazu. Am beeindruckensten stürzt der Vøringsfossen in Tiefe. Jetzt verliert auch die Straße kräftig an Höhe, um im Örtchen Eidfjord wieder Meeresniveau zu erreichen. Irgendwann macht es peng und mir kommt das Geräusch verdächtig bekannt vor. Eine Hinterradspeiche (natürlich auf Kassettenseite) ist gebrochen, aber ich habe noch Übung vom letzten Jahr und die Sache ist schnell repariert. Es sollte die einzige Panne bleiben. Nun geht es immer den Eid- und Sørfjord entlang, schön aber nicht übermäßig spektakulär. Am ganzen Fjord werden Kirschen angebaut und am Straßenrand mit Selbstbedienung verkauft. Odda ist die letzte größere Stadt vor Kristiansand und ich nehme die Gelegenheit zum Einkaufen wahr. In einem Supermarkt finde ich interessante, fast leere Flaschen mit Geschmacksessenzen (u.a. Ouzo und Kirsch-Cognac) , die mit Alkohol aufgefüllt werden müssen (den man sich woanders „besorgen“ muss). Der Zucker- und Hefeabsatz soll auch ganz prächtig sein. Das verkrampfte Verhältnis der Norweger zum Alkohol spiegelt sich in zwei Volksentscheiden wieder, als man 1916 für ein totales Alkoholverbot und 1927 für die Aufhebung desselben stimmte. In vielen Gemeinden darf ab 18 Uhr und an Sonn- Feier- und Wahltagen kein Bier verkauft werden. Getränke mit mehr als 4,8 Vol.% unterliegen staatlicher Kontrolle und werden nur in Geschäften mit der treffenden Bezeichnung Vinmonopolet verkauft. Seit Schweden in der EU ist, sind die Preise dort für Alkoholika gesunken und es gibt einen regelrechten Alkoholtourismus zum Nachbarn, der auch liebevoll „süßer Bruder“ genannt wird.

Hinter Odda ist für einen kurzen Abschnitt der Gletscher Buarbreen zu sehen und links und rechts der Straße gibt es immer wieder prächtige Wasserfälle. In Skarsmo finde ich mit etwas Glück die alte Straße zur E134. Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie sich die Natur die ehemaligen Hauptstraßen zurückholt. Pflanzen brechen durch den Asphalt, Steinschlag bearbeitet die Oberfläche, Erdrutsche reißen ganze Abschnitte in die Tiefe. Als Radfahrer kommt man aber in der Regel immer irgendwie durch und umgeht den Verkehr oder einen Tunnel. Der knapp 5 km lange Røldaltunnel ist zwar für Radfahrer nicht verboten, ich aber fahre trotzdem die alte Passstraße und bereue es nicht. Kurz vor Røldal kommt nochmal ein sehr kurzer Tunnel, der ohne Alternative verboten ist und so fahre ich gezwungenermaßen trotzdem durch. Es geht auf und ab über das Haukelifjell und bald darauf kommt der Abzweig zum Riksvegen 9 nach Kristiansand. Noch ein letztes Mal darf ich in den Genuss einer Serpentinensteigung kommen, bevor die Straße der Otra folgt. Ich passiere Hovden, einen wichtigen Ort der Wikingerzeit und der Eisenherstellung, den man heute mit Wintersportburgen würdigt. Vorbei an netten Seen und Wäldern spüre ich den Drang, schnell nach Hause zu fahren und habe das entsprechende Tempo drauf. Ich beschließe doch noch eine Übernachtung vor Kristiansands Toren einzulegen und mit der 7:15-Uhr-Fähre am nächsten Morgen zu fahren. Kristiansand wäre wohl bei jedem Stadtplanerwettbewerb von Beginn an disqualifiziert, kann aber immerhin mit den meisten Sonnenstunden Norwegens punkten. Ich verzichte auf eine ausgedehnte Stadtbesichtigung und beeile mich, ein Ticket für die Katamaranfähre zu bekommen. Mit Ausnahme des Stahlmantels ist dieses Ungetüm komplett aus Aluminium gefertigt. Nach Verlassen der vorgelagerten Schäreninsel gibt der Kapitän Vollgas und aus den vier Turbinen kommt ein gewaltiger Wasserstrahl und trägt uns in nur zwei Stunden über den Skagerrak nach Hanstholm in Dänemark.



Meine Tour ist eigentlich damit beendet und ursprünglich hatte ich vor, vom nächstgelegenen Bahnhof die Heimreise anzutreten, andererseits böte sich bei flotter Fahrt an Dänemarks Westküste eine nette Dreitagestour nach Hamburg an. So fahre ich westwärts und werde auch gleich mit Gegenwind beglückt. Vorbei geht's an zahlreichen Bunkeranlagen, einen Teil des Atlantikwalls. Nochmal eine kurze Fährpassage nach Thyborøn und ich kann mich windgeschützt hinter einem Deich verbergen. Zuvor bin ich wegen des starken Seitenwindes fast zum Stillstand gekommen. Wenn man vorne und hinten mit Gepäcktaschen unterwegs ist, kann Seitenwind sehr unangenehm sein, weil man - der größeren Angriffsfläche wegen - regelrecht ausgebremst wird. Bis auf wenige Abschnitte ist vom Meer nicht viel zu sehen. Wild zu kampieren ist auf Jütland nicht so einfach, man muss sich gut verstecken. Ribe ist ein Städchen, dass mir gut gefiel, aber Touristenmassen quetschten sich durch die engen Gassen. Ich folge immer der Küstenlinie, betrachte Sylt aus der Ferne und erreiche den deutsch-dänischen Grenzdeich bei Klanxbüll. Gegen Abend wird es regnerisch und ich kann mich nicht so recht entscheiden, ob ich mit dem letzten Zug nach Hamburg fahren soll. Letztendlich genieße ich in Niebüll eine Riesen-Currywurst mit Bier aus der norddeutschen Stadt, die bei Autofahrern so einen schlechten Ruf hat und muss mich erstmal daran gewöhnen, für dieses bescheidene Vergnügen nicht Omas Sparbuch plündern zu müssen. Das einzige uneinsichtige Plätzchen zum Zelten finde ich in einer Traktorspur im Maisfeld, darauf achtend, keine Pflanze zu knicken falls mich doch der Bauer erwischen sollte. Am folgenden Tag radel ich noch etwas die Küste bis Husum entlang, um dann ziemlich direkt durch Schleswig-Holstein nach Hamburg zu gelangen. Bei Quickborn endete meine Karte und ich musste frei nach Himmelrichtung durch die Akklomeration von Norderstedt und Nord-Hamburg radeln, so dass die letzte Etappe mit 206 km auch die längste der Tour wurde. Halb neun abends, nach 35 Tourtagen, erreiche ich meine Wohnung, nicht ganz im Bewusstsein, dass die Tour nun tatsächlich zuende ist. Mit 4189 ist sie nur geringfügig kürzer als die Nordkaptour im letzten Jahr. Von Kirkenes nach Kristiansand waren es 3640 km, 549 km der Rest nach Hamburg. Im Durchschnitt fuhr ich somit 119,7 km/Tag, 113,8 km/Tag in Norwegen und 183,0 km/Tag von Hanstholm nach Hamburg.

Fazit:

Dies ist immerhin meine vierte Reise nach Norwegen, aber sicherlich nicht die letzte. Dieser rasche Landschaftswechsel, diese dramatischen Lichtspiele, diese faszinierende Nähe von Bergen und Meer lassen es nie langweilig werden. Ich bin ein großer Liebhaber subarktischer und borealer Natur und so mancher kann nicht nachvollziehen, warum es mich regelmäßig ins Nordland statt ins Mediterrane zieht. Über das norwegische Wetter soll man sich nicht beklagen, denn es nützt nichts. Man kann wochenlang tollsten Sonnenschein haben oder in den Berghängen klebende Dauerregenwolken, meistens muss man - wie auch diesmal - einen Mix aus beidem ertragen. Viele fragen mich, ob das Reisen alleine sich nicht aufs Gemüt schlägt. Doch ich sehe darin eigentlich kein Problem, solange man offen und interessiert für Fremdes ist. Außerdem ist es eine organisatorische Frage zu zweit zu reisen und nur schwer auf einen Nenner zu bekommen (Zeit, Interesse, Mentalität, Fitness usw.).

Im Norden fand ich Norwegen wilder, im Süden spektakulärer. Kontakte zur Bevölkerung sind freundlich, aber zurückhaltend (keiner drängt zum Teppichkauf). Ich bin sicherlich etliche Höhenkilometer gefahren; der Norwegenradler sollte den Berg lieben. Man muss schon mal für ein paar Tage Lebensmittel mitschleppen. Wasser habe ich fast immer aus dem Bach getrunken. Trotz ausgiebiger Planung bin ich einige hundert Kilometer mehr gefahren als errechnet. Man sollte die Entfernungen nicht unterschätzen. Diese Tour entspricht in etwa dem Landweg von Hamburg zur iranischen Grenze! Nun bleibt mir noch der Kystriksveien zwischen Bodø und Steinkjer als eine der nächsten Touren in Norwegen. Denn das ist gewiss: Norwegen, ich komme wieder.

Übersicht aller Radtouren

Mittwoch, 23. Juli 2008

Übersicht aller Radtouren in Europa



Zum Bericht: Kirkenes-Kristiansand-Hamburg (2008)

Auswahl anderer Touren aus der Zeit analoger Fotografie und schlechter Scanner gibt es HIER.

Samstag, 3. Mai 2008

ATP Masters 2008 Hamburg-Rotherbaum

Hatte nun endlich Gelegenheit meine neue Kamera auszuprobieren. Das einfache 70-300mm Objektiv macht ganz ordentliche Bilder, ist aber ein Schönwettergerät mit Abstrichen bei der Mechanik und vor allem in der Optik (chromatische Aberration sichtbar). Den bis zu 200 km/h schnellen Tennisball kann man nur mit Glück auf's Bild bekommen, ist aber gestalterisch sehr wichtig, wie ich später feststellen musste.

Die Freikarte zur Vorrunde bekam ich von einem Freund. Bin kein Tennis-Ass, aber die Stimmung im Center Court war super.